(Hier geht’s zum ersten Teil: Vanuatu 2019 – Wiedersehensfreude und Neuentdeckungen, Teil 1/11)
Es war Zeit für uns weiterzuziehen. An diesem Tag sollte noch ein Kreuzfahrtschiff kommen, pro Monat wurde Anatom von 3 bis 4 von den Dampfern angefahren. Wir hatten das Spektakel rund um die Kreuzfahrer bereits einmal mitbekommen und beschlossen daher heute bis nach Tanna weiterzusegeln.
In Tanna hatten wir im September 2018 einklariert. Siehe Bericht Vanuatu 2018. Unser nächstes Ziel war nur eine kurze Tagesetappe von uns entfernt und wir hatten es schon von Mystery Island aus sichten können. Wir segelten von Anatom weg, sahen in der Ferne den imposanten Umriss vom gehobenen Atoll Futuna und fuhren kurz vor der Dämmerung in Port Resolution, Tanna ein. Vertrauter Anblick.
Am nächsten Morgen sind wir alle früh wach und sind schon um 9 Uhr am schwarzen Strand mit den heißen Quellen. Wir beschlossen Willi und seine Familie zu besuchen und nicht ins gegenüberliegende größere Dorf zu gehen. Am Strand trafen wir nur zwei Jungs, wir fragten sie nach Willi, doch sie verwiesen uns aufs Dorf. Da es noch recht früh war, beschlossen wir eine kleine Wanderung zu den dampfenden Quellen zu machen. Georg kannte den Weg, ich war mit den Kleinen im letzten Jahr am Strand geblieben.
Fatuman und Jan, die zwei Jungs vom Strand begleiten uns. Uns begegnet eine Mutter mit zwei kleinen Kindern, die gerade aus dem Garten kommt. Eines der Kinder reicht uns gleich ein paar Bananen, die unsere Kinder freudestrahlend annehmen. Außerdem finden wir unterwegs ein paar reife Passionsfrüchte, köstlich. Die dampfenden Quellen sind beeindruckend. Wir fühlen die Nähe zum Yasur; dem aktiven Vulkan hier auf Tanna, dessen feuerspeiende Glut wir uns im letzten Jahr abgesehen hatten. Insbesondere die Kinder liebten die bunte Erde, die sich hervorragend zur Körperbemalung eignete; Braun-, Rot, Gelb und Grüntöne. Mia steuerte dann auf dem Rückweg blutrot hinzu. Ihre Nase blutete und blutete und wollte sich nicht beruhigen. Wir hatten keine Tempos dabei und behalfen uns mit Blättern, groß genug waren sie sicherlich, doch ihre Saugfähigkeit ließ stark zu wünschen übrig.
Kurz bevor wir zurück am Strand sind, werden wir abgefangen von ein paar Frauen und Kindern, die uns zu sich einladen. Sie rollten eine ihrer geflochtenen Matten aus, trieben zwei Plastik Gartenstühle (die sind hier eher was besonderes, da sich da Leben auf dem Boden bzw. auf Matten abspielt). Kokosnüsse und Sauersack wurden geschlachtet und geteilt, zwei Körbe mit Bananen, Pampelmusen und Christofinen bereit gestellt und sie fragten uns, ob wir evt. Passfotos von zwei der Mädels machen könnten, sie wollten versuchen für ein paar Monate nach Australien zu kommen, um dort durchs Arbeiten auf den Gemüse- und Obstplantagen etwas Geld zu verdienen. Mit einem weißen Tuch wurde ein Hintergrund geschaffen, die Mädels warfen sich in Schale und kämmten sich das Haar und Georg machte ein paar Fotos, die wir dann später am Boot in für uns bestmöglicher Qualität ausdrückten und ihnen gaben. Außerdem zeigten wir einigen von ihnen auf großen Wunsch hin unsere ZIG ZAG. Irgendwie stellte sich heraus, dass sie noch nie Nudeln gegessen hatten und so boten wir an sie mit ihnen gemeinsam zu kochen. Dann trafen wir auch Willi und Shila, mit denen wir eigentlich so wie im letzten Jahr Nudeln mit Soße in den heissen Quellen kochen wollten. Diese waren aber nun vom Hochwasser überflutet und wir hatten noch das Kochdate mit der anderen Familie. Social Stress. Eigentlich zuviel für einen Tag, aber einen viel längeren Aufenthalt hatten wir hier eigentlich nicht geplant. Also Gas geben. Zurück an Bord, packten wir ein paar Kilo Nudeln und ein paar Gläser rote Soße ein, wir ahnten schon, dass viele Münder etwas probieren wollten. Willi hatte Georg ausdrücklich auch zum Kava Abend (ganz unter Männern) eingeladen. So bekochten wir zunächst ca. 15 Menschen in de einen Familie und machten uns dann in der Dämmerung auf den Weg zum Dorf Nummer 3, oben auf dem Berg. Unser AMC Dorf machte sich hervorragend auf dem offenen Feuer in den Strohhütten. Die Kinder spielten draußen Verstecken, für Lino wurden die tollsten Blumen gepflückt und er war sehr erfreut über tolle Blüten Nießspiele. Als die Nudeln fertig waren, nahmen alle irgendwo draußen oder auch drinnen am Feuer Platz und viele viele Kinder, Frauen und Männer genossen mal etwas anderes zu essen. Die größeren Jungs fütterten Lino mit Begeisterung und unser Kochevent war ein voller Erfolg. Doch auch sie wussten, dass wir versprochen hatten noch zu Willi und Shila zu kommen und ein paar Kids wurden entsendet uns den Weg zu zeigen. Wir passierten Dorf Nummer 1, dann Nummer 2 und eine kleine Weggabelung führte uns den Berg hinauf zu Dorf Nummer 3, fast direkt in die Arme von Shila. Sie führte Georg zu Willi, der bereits der Kava Runde beiwohnte und die Kinder und ich folgten Shila in ihre kleine Kochhütte. Sie hatte bereits ein paar Bananen und Manjok in Kokosnusssosse gekocht von denen wir etwas probierten. Lino war sehr müde und ließ sich recht schnell schlafend ablegen. Mia und Noah spielten mit Shilas Tochter und der Nichte und unsere Kids lernten ein hier übliches Hand Klatsch Grundschullied ‚ABC let‘s Go‘. Großartig!
Ich genoss den Austausch mit Shila über das Leben; Shila war eine der wenigen bzw. eigentlich die einzige die mir in der ganzen Zeit in Vanuatu verdeutlichte nicht zufrieden zu sein mit dem Lebensstandard in dem sie lebte. Willi ist Grundschullehrer im größeren Dorf gegenüber in der Bucht und ich konnte ihre Unzufriedenheit nur schwer nachvollziehen, doch sie hatte den starken Wunsch ein Haus aus Beton zu bauen. Sie war willig auch selbst nach Australien zu gehen, denn sie war der festen Überzeugung dort in kurzer Zeit ausreichend Geld zu verdienen, um ihren Lebensstandard qualitativ zu steigern. Während die meisten Familien durchschnittlich eher 6 Kinder hatten, hatten Willi und Shila ganz bewusst gesagt bei einem bleiben zu wollen, um ihr ein gutes Leben finanzieren zu können.
Der Abend wurde später und später, über uns baumelte die ganze Zeit ein kleines Ferkel in einem Jutesack; aus den durch ein kleines Loch die Nasenlöcher schnüffelten und das zwischendurch immer mal wieder für ein kurzes Aufsehen sorgte, wenn es beschloss los zu strampeln. Wir kochten noch ein Kilo Nudeln mit roter Soße, Shila und auch unsere Kids genossen und von den Männern keine Spur…doch irgendwann kamen sie durch die Holztür hinein. Ich konnte Georg den Kava leicht anmerken, er war tiefen entspannt und langsam. Netterweise begleiteten uns Shila und ihre Schwägerin noch über Stock und Stein durch die Dunkelheit bis runter zum Strand, wo unser Dingi auf uns wartete.
Kava Abend mit Willi
*** Hier sein ganz persönlicher Erfahrungsbericht von seinem Kavaabend mit Willi in Port Resolution:
Heute Abend lud mich Willi, Grundschullehrer, zur Kava Zeremonie in sein Dorf ein. Kava ist eine leicht betäubende und berauschende wässrig-braun-milchige Flüssigkeit die es heute Abend zu trinken gilt. Die Zubereitung des Kavas geht hier auf Tanna so: Man nimmt einen frischen und würzig-duftenden Wurzelstrunk des grünen Kava Strauchs, eine Unterart des Pfeffers. Man schneidet die dünnen, goldfarbenen Wurzeln vom kräftigen Hauptstück ab, putzt diese und schichtet sie zu einem kleinen Haufen. Von diesem Haufen nimmt der Kava-Kundige, in meinem Fall Willi, eine große Handvoll. Rein in den Mund. Kauen. Und dann hilft nur noch Lautsprache: es Schmatzt, es Mampft, es Rotzt und röhrt, es Rülpst und Spuckt, der Speichel jagt aus den Drüsen, die Nase wird hochgeschnorchelt dass es brodelt, der Rachen blubbert, Gerönz gluckert, es zischt und zutzelt. Gekonnt verlässt ein unkaubares Wurzelstückchen den Mundwinkel, holziger Brei wogt von einer Wange in die Andere, es knuspert latschig, es schneckt, es rasen die Säfte, es kocht im Mund die Grütze. Exotische Sekrete materialisieren aus dem Nichts im Rachen meines Gegenübers, die Chemie ändert sich im Sekundentakt. Dann wird nasal hochgezogen als müssten die Bronchien raus, ganz tief gurgelt der Brunnen, das Kauen klingt wie drei Löffel gefrorener Weißkohl mit zwei Glas heißem Honig, prüfend saugt Luft durch eine Zahnlücke, das reicht noch nicht, also zur Sicherheit ein bisschen weiter gerüsselt, gegnatscht und geschmiert und dann: In einer kompliziert aussehenden gekonnt-kotzenden Bewegung, die an einen Flamingo erinnert der in die Mausefalle gekommen ist, verlässt der braune Brei die Mundhöhle und liegt dampfend und fermentierend als Kavagetränk-Vorprodukt in der feucht-triefenden Hand: ein Flatschen Kavabrei.
Jetzt kommt das Ekelhafte:
„Georg, ich mach dir ‘ne Schale Kava.“ Willi steht auf und schaut mich nicht unfreundlich an.
Zurück bleibe ich mit Augen groß wie Spiegeleier, meine Gedanken rasen panisch zu zwei anderen Seglern: David, der von fieser Kavavergiftung gesprochen hatte und zwei Tage stocksteif im Bett lag ohne ein Wort sagen zu können. Und Nicole, die der festen Überzeugung ist, seit dem Abi nicht mehr so ausgiebig gründlich und hingebungsvoll brechen zu müssen. Ich fühle mich unfähig wegzurennen um ein anständiges Leben zu beginnen.
Willi walkt die gärende Plempe in Wasser ein, filtert durch ein Tuch, inklusive allem was im Mund an Kreativem hinzugekommen ist. Und noch einmal wird das Brät in einen alten Lumpen gewickelt, in Wasser getaucht und kräftig ausgewrungen, dass es spritzt und quatscht wie Kinder mit Gummistiefeln im Sumpf.
Endlich kommt Willi mit der halben Kokosnussschale zu mir, randvoll mit Kavaelixier, jetzt ist es zu spät, ich bleibe höflich wie ein Vollidiot der selbst seinem Henker noch einen guten Tag wünscht. Nehme den Gifttrunk mit beiden Händen. Auf dem Zeremonienplatz, dem Nakamal, ist es mittlerweile totenstill geworden. Schwarze Augenpaare sind auf mich gerichtet, prüfend, erwartungsvoll. Ich setze an, meine Hände zittern nicht, dennoch, mein gesamtes Leben zieht vor dem inneren Auge vorbei, Resumee: Nicht schlecht. Aber auch: Warum nur muss es hier enden?
Der erste Schluck züngelt durch meine Lippen und huscht an meinen Zähnen vorbei. Die Zunge ist kurz im Weg, dann glaube ich die Speiseröhre ist im Weg, dann wird mir klar, dass ICH im Weg bin. Die Kokosnussschlale ist riesig, fast ein halber Liter verfaulendes sandiges Spülwasser versehen mit den Mundbakterien einer ganzen Generation. Kurz denke ich darüber nach, dass in Willis Dorf alle Einwohner immer dieselben Krankheiten haben müssen und verschlucke mich fast vor Lachen. Ich ziehe zur Sicherheit das zweite Drittel der Schmocke durch die zusammengebissenen Zähne, ein Ausspucken kommt nicht in Frage. Höflichkeit. Respekt. Anstand. Der notwendige Sauerstoff kommt durch die Nase, ganz ruhig, ich nutze Atemtechniken, das mindert den unwiderstehlichen Würgereflex, fühle mich dennoch wie ein Tiefseetaucher dem ein Frechdachs in die Flasche gefurzt hat und noch zwei Stunden bis zur Mittagspause. Kleine Schweißtropfen perlen auf Stirn und Oberlippe, ich kämpfe. Bevor ich die Augen vor den letzten Schlücken schließe geht mein Blick in die Runde. Ich sehe: Ein Stillleben aus dunkelhäutigen Männern, ein jeder in seiner Bewegung erstarrt. Der Chief, sich gerade seine eigene Portion Kava kauend, glotzt mit offenem Mund während langsam ein kleines Rinnsal wertvollen Kavasaftes aus seinem Mundwinkel quillt und den Hemdkragen braun färbt. Die Kokosnussschale steht fast vertikal in meiner Hand, da spüre ich, wie der Anteil an Krümmelchen, Stückchen und Schlontz zunimmt. Der bröckelige Bodensatz, genauso schleimig wie erlösend hüpft mir über die Zunge wie zu heiß gegrillter Froschlaich. Ein letztes Würgen in den Mund, ein paar Tropfen dürfen am Kinn runterlaufen, Schale absetzen und jetzt gut konzentrieren. Der Sieg ist da wenn alles drin bleibt. Willy legt warnend den Kopf schief, aber auch mit einem Lächeln auf den Lippen. Meine Schultern senken sich, durch die Nase atme ich langsam und tastend aus. Dann ein tiefer Atemzug als wäre es der Erste überhaupt. Ich schaue mich um: Weiße Zähne blitzen, alle grinsen entspannt, ich hab‘s geschafft. Ich versuche mir die Anstrengung nicht anmerken zu lassen, schaue dankend in die Runde und suche wieder meinen Platz neben Willi auf.
Mein einziger Gedanke auf dem Heimweg: Am Boot steht eine blitzgrüne Flasche Doppelminz Mundwasser. Die hau ich heute Abend auch noch weg. ***
Das Leben geht weiter:
Am nächsten Morgen, es war ein Sonntag wollten wir gegen 10-11 Uhr im Dorf sein. Hahaaha das war unmöglich. Georg war immer noch recht langsam in seinen Handlungen.
Um ca. Lunchzeit erreichten wir dann endlich den Strand, der an diesem Morgen von ‚vielen‘ Menschen heimgesucht wurde. Shila stand mit 6 weiteren Frauen im gleichen Abstand mit Stock, Leine und Köder am Strand und angelte. Die Männer saßen in kleineren Gruppen am Strand und hingen einfach ab, die Kinder spielten, ein paar ältere von ihnen fischten ebenfalls.
Während Georgs Kava Hangover am Vormittag, er behauptete es ginge ihm gut und alles wäre ganz normal, backte ich einen großen Bananenkuchen. Wir schnitten ihn in viele kleine, also wirklich kleine Stücke und jeder der ca. 80 Anwesenden bekam etwas ab.
Dann wurde Georg zu einer Mission aufgefordert; der Chief des Hauptdorfes wurde vermisst; er war am Morgen mit einem Freund zum Angeln mit einem motorisierten Longboat rausgefahren, normalerweise hätten sie schon längst zurück sein müssen, also los gesucht. Georg fuhr mit ZIG ZAG und einem anderen Mann aus dem Dorf raus aufs Meer, um sie zu orten. Es gab noch ein Boot was ‘ne Stunde später bei der Suche half und da kam das Longboat wieder zurück in die Bucht gefahren. Wir informierten Georg per Funk. Gut das nix passiert war, warum auch immer sie erst jetzt zurückkamen.
Wir ließen den Abend noch ein weiteres Mal, diesmal ohne Kava für Georg im Dorf Nummer 3 ausklingen. Die Kids singen und klatschen ‚ABC let‘s go’ und Mia belustigt 10 Kids mit ‚The jumper goes around‘ (Abwandlung von Plumpsack) und mit ihrer eigenen Kreation eines Spiels, indem sie Bewegungen vormacht und alle es ihr nachmachen. Großartiger Spaß! Wir verabschieden uns herzlichst, ließen selbstverständlich einige nützliche Dinge, insbesondere Kinderklamotten in den Familien und machten uns am nächsten Tag auf nach Eromango. Es war ein schöner sehr intensiver kurzer Aufenthalt hier in Port Resolution gewesen. Wir hatten keine Ahnung vorher, ob man sich wohl noch an uns erinnern würde und wie es sein wird irgendwo das zweite Mal aufzutauchen. Es war super, der Kontakt war so viel intensiver, irgendwie vertraut und so viele erinnerten sich noch an uns und sogar noch an unsere Namen, das war beeindruckend. Diesmal waren wir uns allerdings ziemlich sicher nicht wiederzukehren. War es doch im letzten Jahr so einfach gewesen immer wieder zu sagen ‚bis zum nächsten Jahr‘…
Weiter mit Teil 3 in einer Woche.
2 Replies to “Vanuatu 2019, Teil 2/11: Tanna 14.- 17. Juni”